Les Grandes vacances: Mit Louis de Funès in die Sommerferien

Mit Badehandtuch im Kofferraum in die Cathédrale? Mit zerrissener Kleidung und völlig zerzaust zurück aus dem Louvre? Das klingt nach Shirleys Ausflügen mit Alibi, um den Fängen ihres strengen Gastvaters zu entkommen. Über den Sommer ist die Schottin bei der Familie des Internatsleiters Charles Bosquier zu Gast, während dessen ältester Sohn in Schottland sein Englisch aufbessern soll. Austausch und Verwechslung sind in der französischen Ferienkomödie Programm: Bei der Verfolgungsjagd auf die ausreißenden Sprösslinge lebt Louis de Funès in seiner Rolle als Patriarch und Choleriker auf und hat wie immer absurde Sprüche en masse auf Lager.

Mit „Les Grandes vacances“, im Deutschen als „Balduin, der Ferienschreck“ bekannt, gelingt Jean Girault eine der ersten von insgesamt zwölf Zusammenarbeiten mit dem legendär komischen Louis de Funès. Als schottischer Familienvater und Whiskybrenner tritt ihm hier Ferdy Mayne gegenüber, der im gleichen Entstehungsjahr in Roman Polańskis „Tanz der Vampire“ als Graf von Krolock besonders bekannt geworden ist. Die beiden Patriarchen liefern sich ein komisches Duell, das sie gegen ihre aufmüpfigen Kinder verbündet. Martine Kelly und François Leccia als Shirley und Philippe haben die Vorschriften ihrer Eltern nämlich satt und wollen die Ferien lieber bei einem Segeltörn auf der Seine verbringen.

Klingt nach einem riesigen Sommerspaß? Ist es auch! Trotzdem lässt so manch eine Szene aufgeklärte Zuschauende zusammenzucken: „Na, schnuckelig! Da muss man ja zugreifen!“, ruft einer der Freunde, als zwei junge Frauen das Boot am Strand passieren. Musik setzt ein und die drei Männer springen von der Jolle herunter auf die Opfer zu, die ihnen mit sexualisiert inszenierter Mimik leicht verängstigt, aber doch imponiert entgegenblicken: leicht geöffneter Mund und aufgerissene Augen.

Es beginnt ein merkwürdig alberner Tanz, Musik pusht die Stimmung und die Choreografie macht mit den bunten Farben der grellen 60er-Jahre Mode Spaß beim Zuschauen. Das überdeckt allerdings kaum die Essenz der Situation: Die Männer, die noch dazu in der Überzahl sind, hindern die offensichtlich abweisenden Frauen am Weitergehen. Belästigung nennt man sowas. Erst als die beiden so sehr bedrängt werden, dass ein Ausweg nicht mehr möglich zu sein erscheint, gewinnen sie auf einmal Spaß an der Situation, und springen ihren neugewonnenen Freunden in den Arm.

Dass wir ältere Filme nicht mit der feministischen Brille unserer Zeit pauschal verurteilen können, ist klar. Der bestehende Sexismus ist Grund dafür, weshalb Feminismus überhaupt notwendig ist. Dürfen wir Spaß an einer Komödie haben, die historisch bedingt anti-emanzipatorische Inhalte in sich trägt? Natürlich! Sonst müssten wir sämtliche Filme des letzten Jahrhunderts canceln – und einen Großteil der heute produzierten Filme berechtigterweise gleich mit. Trotzdem muss das kritische Auge für Sexismen sensibilisiert sein und sie als Zeugnis einer anderen Zeit und Gesellschaft einordnen.

Im Gegensatz zu den beiden Frauen vom Segelhafen – ganz zu schweigen von den Müttern und der französischen Haushaltshilfe – steht Shirley MacFarrell. Natürlich bricht auch sie nicht ganz aus dem klassischen Frauenbild aus, wenn sie, um mitsegeln zu dürfen, anbietet für die Männer zu kochen, ihre Wäsche zu waschen und das Deck zu schrubben. Trotzdem kämpft sie sich aus den konservativen Strukturen frei, indem sie – keck und eigensinnig, wie sie ist – ihr Ding durchzieht und der Handlung dadurch kaum zu erwartende Wendungen verleiht.

Schauspielerisch wäre bei den jungen Darstellenden definitiv noch Luft nach oben gewesen – wobei wir das heute natürlich mit anderen Maßstäben bewerten. Außerdem hätten die aufbrausenden Väter Funès und Mayne nuancierter gegeneinander ausgespielt werden können. Doch auch so ist „Les Grandes vacances“ ein selbstironischer Sommerspaß mit den abstrusesten Verwechslungen und klischeebehafteten Seitenhieben von Frankreich nach Schottland und zurück.

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