Better Call Saul – Eine Verneigung

Staffel sechs, Folge sechs, erste Szene.

Wir sehen Detailaufnahmen ordentlich aufgehängter Anzüge. Der weiche Klang von Perry Como’s Song »A Dreamer’s Holiday« erklingt. Howard Hamlin lässt sich seine Schuhe von einem rotierenden Polierer säubern. Er hängt einen Anzug in sein Auto, wir sehen sein für New Mexico typisches Haus, umgeben von Bäumen und Sträuchern in einer weitwinkligen Totale. Er mahlt und kocht Kaffee, schäumt Milch auf, putzt den Milchschäumer und die Siebträgermaschine. Dann schüttet er die Milch in eine Tasse mit dem Espresso und verziert den Cappuccino sorgfältig mit Latte Art. In einer Totale sehen wir ihn inmitten einer weitläufigen Wohnküche stehen, im rechts davon gelegenen Flur kommt uns seine Frau entgegen. Die Musik stoppt.

Seine Frau betritt die Küche, beide grüßen sich kurz. Wir verharren für einen Moment in der Totale. Er fragt, wie sie geschlafen habe. »Good. And you?«. Er antwortet mit »Alright. I think.« und schüttet Wasser aus einer kupfernen Teekanne in einen metallenen Becher. Howard nimmt die Kaffeetasse und stellt sie vor seiner Frau ab, Nahaufnahme der Tasse, wir sehen Milchschaum in Form des Friedenssymbols. Sie reagiert neutral, spricht weiter, holt einen Becher hervor und schüttet den Cappuccino hinein. Die Kamera verweilt auf der Höhe des großen Küchentischs, der das Sonnenlicht reflektiert. Immer wenn wir in der Konversation der beiden auf seine Frau blicken, bleibt eine Hälfte des Bildes leer, während er stets im Mittelpunkt der Kamera steht. Howard offenbart ihr ein Problem, mit dem er zu kämpfen hat: Jimmy McGill aka Saul Goodman.

»Lehrbuch über die makellose Konzeption und Umsetzung einer horizontal erzählten Dramaserie«

Eine nur im Ansatz beschriebene Szene. Jede der immer wieder unglaublich innovativen und herausfordernden Kameraeinstellungen, jedes scheinbar beiläufig gefallene Wort, jeder hervorgehobene Ton, jede kleinste Bewegung des überragenden Casts verfolgt stets das klare Ziel, die Figuren und ihre Beziehung zueinander präzise zu beschreiben und spürbar zu machen.

»Better Call Saul« ist nicht ein Kapitel, sondern ein ganzes Lehrbuch über die makellose Konzeption und Umsetzung einer horizontal erzählten Dramaserie. Die Bezeichnung »Spin-off« ist fast schon eine Beleidigung. Vielmehr verschmelzen die Ursprungsserie »Breaking Bad« und Better Call Saul in eine nicht mehr voneinander zu trennende Erzählung und bilden nun einen gemeinsamen Kanon. Während sich Breaking Bad noch mehr auf den Einfluss von Geld und Macht auf den Menschen konzentriert, unsere Sympathien wie Antipathien für korrumpierte Geister auslotet und einem ständigen Thrill hinterher jagt, fokussiert sich Better Call Saul auf Themen, die in Breaking Bad nicht immer im Vordergrund stehen, aber dennoch zentral für die Serie sind.

Die Zwischentöne stehen im Mittelpunkt, schicksalshafte Zwischentöne. In der Entscheidungsfindung und -ausführung.

Dieser Fan-made-Trailer für die gesamte Serie trifft die überwiegende Stimmung der Serie, die anfänglich noch nach Leichtigkeit riecht und diese auch immer wieder versprüht. Doch je weiter sie in die Psyche ihrer Charaktere eindringt und je mehr Zeit vergeht, desto gravierender werden die (potenziellen) Auswirkungen ihres Handelns.

„We all make our choices. And those choices, they put us on a road. Sometimes those choices seem small, but they put you on the road. You think about getting off. But eventually, you’re back on it.“

-Mike Ehrmantraut aus Better Call Saul

Täglich zu treffende Entscheidungen, absurde Zufälle, unverhofftes und unerfahrenes Glück. Im Nachhinein vorbestimmt erscheinende Entwicklungen. Haben wir unser Schicksal wirklich in der eigenen Hand, können wir es austricksen? Sollen wir uns dem Lauf der Dinge ergeben oder uns mit allem, was wir aufbieten können, dagegen wehren? Häufen sich unsere zunächst vermeintlich kleinen Sünden irgendwann zu unwiderruflichen Konsequenzen an? Wann ist es zu spät?

Aus einer Serie über einen Anwalt, der zunächst noch mit Humor und Witz, aber innerlich schon seit Beginn verzweifelt nach Bedeutung und Anerkennung ringt, wird eine Parabel über die menschliche Existenz als solche.

Zu guter Letzt möchte ich aus Homers Ilias zitieren (der natürlich kein Englisch kannte):

“Any moment might be our last. Everything is more beautiful because we’re doomed. You will never be lovelier than you are now. We will never be here again.”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert